Begegnung von Alt und Jung als interkulturelles Projekt
Ausstellung und Projekt Alt und Jung entstanden zur Zeit der Anschläge von Mölln und Solingen. Grundgedanke war, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit am besten durch indirekte Anstöße und unerwartete Begegnung zwischen Nationalitäten, aber auch zwischen Jung und Alt, Jungen und Mädchen und im Arbeitsleben überwunden werden. Ausgangspunkt war ein Besuchsdienst von ausländischen Mädchen bei deutschen Seniorinnen. Eine Mitwirkung bei der Sammlung wird inzwischen auch durch Befragungen von Eltern und Großeltern zu Arbeitsleben und Migration durch die Kinder und Enkel angeregt. Pensionierte Lehrkräfte haben Interesse an der Begegnung mit heutigen Schülern, weil sie ihre eigene Biografie reflektieren oder selbst einen Lebenslauf verfassen wollen. Die Schüler bringen ein spontanes Interesse an einer „zweiten“, nicht bedrohlichen Begegnung mit ehemaligen Lehrern oder Beratern mit, erwerben Bewertungskriterien für Unterricht, erkennen neue Zusammenhänge und Wirkungsweisen für Selektion und Erfolg. Sie erkennen Gemeinsamkeiten mit unkonventionellen, informellen Zielen der Ehemaligen und öffnen sich für eine vorausgreifende Versöhnung im heutigen Schulalltag.
Der Besuchsdienst findet trotz der Erschwernisse durch die Ganztagsschule weiter statt. Er wurde mehrfach und langfristig ausgewertet. Die wichtigsten Erfahrungen zu Motivation und Wirkung waren: Die Begegnung gelingt, wenn sie zweckfrei und ohne Vergütung oder Geschenke mit Gleichberechtigung der jugendlichen Partner angelegt ist. Sie gelingt nicht, wenn taktische oder zweckrationale Motive im Vordergrund stehen (z.B. kostenlose, ergänzende Dienstleistungen erhalten oder Selbstverwirklichung auf seiten der Senioren, Deutschlernen auf seiten der Schülerinnen). Sie ist erschwert, wenn die ehrenamtlich Tätigen in Pflegepläne oder den Ablauf von Heimpflege eingebaut werden. Tatsächlich steht die Freude an zweckfreien Partnerschaften im Vordergrund. Kooperation gelingt bei ausreichender Anleitung und Anbindung an einen Treffpunkt (vgl. unten: Fachbeitrag).
Ausstellung und Projekt Alt und Jung
Lebenslagen 1: Wohnsituationen
Berichte und Besprechungen aus der Praxis
Auszug aus einer Besprechung „Alt/Jung“ im Jugendladen Nippes / Nippes Museum
Alle Anwesenden schildern reihum ihre Beobachtungen zur Wohnsituation der alten Leute. Hierbei werden folgende allgemeine Beobachtungen geschildert:
- Manche haben eine sehr große, manche eine sehr kleine Wohnung
- manche haben sehr viel Rente, z.B. 8000,- , manche sehr wenig, z.B. 800,-
- wenn man die Wohnsituation schildert, fällt einem auch viel über die sonstige Lebenssituation auf
- unter den Betreuern, die sonst die alten Leute versorgen, gibt es viele Vorurteile: z.B. „die sind geizig“, „die sind steinreich“ usw.
Ausgehend von diesen allgemeinen Beobachtungen wurden die folgenden Fragen besprochen:
Wie geht man am besten mit Vorurteilen um, die man über die alten Leute hört?
Man sollte immer, wenn man solche Vorurteile hört, diese erst einmal nicht glauben und genau hinsehen. Z.B. ist die Frage, ob jemand reich oder arm ist, sehr relativ. Wenn jemand eine hohe Rente hat und ins Heim kommt, ist er wegen der hohen Pflegekosten sofort arm. Auch brauchen die alten Leute das Gefühl der Sicherheit. Häufig ist ihr „Reichtum“ die einzige Sicherheit dafür, daß sie noch von den Kindern besucht werden. Andere sind sehr vorsorgend und wollen nicht einmal nach dem Tod jemand zur Last fallen. N. wendet ein, daß man nach dem Tod eigentlich nicht so viel für eine Beerdigung ausgeben sollte. J. erklärt, daß Beerdigungen ganz schön teuer sind. Andere schildern, daß gerade die „reicheren“ Leute besonders geizig zu sein scheinen. Es stellt sich heraus, daß häufig kleine Anerkennungen, meistens Süßigkeiten gegeben werden. Nur die ärmste Frau gibt offensichtlich manchmal eine Mark. W. erklärt, daß die Vorstellung von Reich und Arm nicht mehr am Geld festzumachen ist, wenn Krankheiten oder Pflegebedürftigkeit vorkommen. Ein Urteil, ob jemand wirklich geizig ist, kann man erst dann fällen, wenn man die Lebensgeschichte und alle sonstigen Lebensumstände wirklich kennt und richtig beurteilen kann. Deshalb sollte man sich mit solchen Urteilen zurückhalten. W. schildert den Fall der Witwe eines berühmten Malers, deren Hab und Gut bei ihrer Heimeinweisung einfach vom Sozialarbeiter der Stadt Berlin versteigert wurde. Erst später wurde der Wert der Sachen erkannt und diese ins Museum gebracht. Das Beispiel zeigt, daß Ruhm, Einfluß und Geld nichts mehr Wert sind, wenn die alten Leute allein sind.
Wie geht man mit den eigenen Vorurteilen oder den eigenen Problemen um?
Bei der Frage nach arm oder reich wurden Vergleiche mit der eigenen Wohnsituation angestellt, z.B.: „Wir leben mit so einem Haufen Leuten in einer kleinen Wohnung, und die Frau lebt allein in 5 Zimmern“. Hierzu gilt nach Meinung von W. dasselbe wie zu den Vorurteilen anderer Betreuer über die alten Leute: Man sollte nicht die eigenen Interessen ins Spiel bringen oder gar die alten Leute beneiden. Z.B. kann die große Wohnung für die betreffende Frau einen viel größeren Stellenwert haben als für jüngere Leute. Sie ist vielleicht mit vielen Erinnerungen verknüpft. Oder die Frau ist sehr stolz auf ihre Wohnung und hat nicht wie Jüngere die Möglichkeit, sich durch Arbeit das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden. (Persönliche Anmerkung: Nicht besprochen wurde ein anderer Punkt, der aber hier auch zu erwähnen ist: Man sollte nicht den „Patienten“ die eigenen Wünsche und Nöte vor die Nase halten oder sie sogar anbetteln. Wenn man schon von den eigenen Problemen erzählt, darf das nicht dazu führen, daß sich die Leute unter Druck gesetzt fühlen, den freundlichen Helfern ihrerseits helfen zu müssen. Manchmal sagt man so etwas vielleicht ohne böse Absicht, z.B. daß man so gerne einen neuen Pullover hätte und die Eltern kein Geld geben. Die alten Leute werden das aber sofort anders verstehen.)
Vor diesem Hintergrund wurden folgende Beschreibungen von einzelnen Wohnungen gegeben:
Wohnung N. Str. – Die Frau ist arm, hat nur eine kleine Rente. Die Wohnung ist alt und klein. Man sieht aus dem Fenster nur auf Mauern. Die Möbel sind sehr alt. Das Klo ist auf dem Gang. Die Elektroleitungen sind kaputt und liegen zum Teil offen. Trotzdem ist die Frau zufrieden mit dem Haus. Sie nutzt ein Sitzklo statt der Toilette im Hausflur. Sie hat kein Badezimmer. Von der Wohnung gibt es ein erstes Bild: Die Frau sitzt in der Mitte der Küche am Tisch. Das Obst im Regal ist verfault. Die Tassen stehen ungespült rum. Die Frau sieht fern. Das Fernsehgerät ist alt und nicht gut. Ein neues zu besorgen ist scheinbar nicht sinnvoll, da sie nicht gut sieht. Sie hört v.a. mit einem großen Kopfhörer aus Holz zu (vgl. Bild). Frage: Wie könnte die Wohnung verschönert werden? Die Tapeten sind dunkel und eintönig. Die Reparatur der Elektroleitungen ist schon geplant. Unklar ist, ob die Frau ins Heim gehen will. Vielleicht könnte sie einen neuen Kopfhörer gebrauchen. Sie trinkt gerne Kaffee.
- B. Str. – Die Wohnung hat 5 Zimmer. Neubau. Die Frau ist körperbehindert. Sie beklagt sich, daß die Wohnung zu groß ist. Ein Bad ist vorhanden. Warmwasser und Balkon auch.
- Bü. Str. – Eine sehr große Wohnung. Die Frau ist sehr stolz auf die Wohnung. Sie lebt schon viele Jahre in derselben Wohnung. Sie erzählt immer von ihrer Tochter.
- G. Str. – Die Wohnung hat kein warmes Wasser. Die Frau stellt die Spülsachen immer in den Schrank. Die Wohnung ist ganz alt. Die Frau ist sehr stolz darauf, wenn sie noch etwas selbst machen kann. Darauf achtet sie sorgfältig: „Nein, das mache ich selbst. Sonst hab ich nichts vom Leben“. Sie ist 84 Jahre alt und lebt schon seit 65 Jahren in derselben Wohnung. Im Bad steht eine Wanne mit einem Badeofen, den man anfeuern muß. Die Frau ist zwar gut angezogen, läuft aber immer mit Schürzen herum.
- L. Str. – Beide Ehepartner sind behindert und gehen jetzt ins Heim. Sehr hohe Rente. „Könnten sie sich nicht Privatangestellte leisten?“ Der Mann ist 20 Jahre älter. Die Frau geht überheblich mit ihm um. Sie verspottet ihn. Gegenüber den Betreuern geht die Frau etwas hochnäsig um. Sie gibt immer schnell neue Aufgaben. Frage: Wie ist zu erklären, daß die Frau überheblich mit dem Mann umgeht? Ist nicht zu klären, also vorerst auch nicht zu bewerten.
- M. Str. – Im ganzen Haus wohnen nur alte Leute (Wohnheim Kirche). Die Wohnung ist sehr schön mit Balkon, Einbauküche, Badezimmer und Toilette. Die Frau hat einen Vertrag mit der Kirche. Darin ist festgehalten, daß irgendwas der Kirche gehört, wenn sie stirbt, für gute Zwecke. Außerdem ist ihr versprochen worden, daß alles so stehen und liegenbleibt, wie sie es hinterlassen hat (wie lange)? Vor allem hat die Frau in den Vertrag aufgenommen oder wünscht sich, daß ihre Katze nach ihrem Tod nicht auch getötet wird. Die mag sie sehr. Sie sitzt immer auf ihrem Schoß (vgl. Bild). Die Katze ist tigerartig. Sie kann sehr viel. Ist richtig dressiert. Z.B. kann die Katze im gekräuselten Teppich Slalom laufen. Der Teppich ist dann aufgestellt, so daß er mehrere Röhren bildet und die Katze schlängelt sich links/rechts durch. Im Mittelpunkt der Wohnung steht für die Frau das Telefon. Mit dem telefoniert sie immer mit ihrer Tochter, die Friseuse ist. Frage: Interessiert sich die Frau für die Teilnahme an einer Telefonkette? Bitte besprechen. Hat sie Interesse daran, daß ihre Fotos einmal schön in einem Fotoalbum eingeklebt werden? Bitte auch das besprechen.
- K. Str. – Eine Zweizimmerwohnung, Altbau, gemeinnützige Wohnungsgesellschaft (Bild folgt?).
- Z. Str. – Eine sehr gute Wohnung. Es geht das Gerücht u,m, daß die Frau von ihrem Sohn falsche Medikamente bekommt. Vielleicht soviel wahr, daß es einen Konflikt gibt. Spekulationen aber nicht angebracht
- Kn. Str. – Die Frau kann sich wenig bewegen. Die Wohnung ist sehr ordentlich, schlicht, einfach eingerichtet. Es gibt viele Bücher und Musikkassetten. Die Frau hört gern Orgel- und Meditationsmusik. Sie war einmal Gewerkschaftsfunktionärin bei der DAG und als Beruf übte sie einen Büroberuf aus.
Fortsetzung beim nächsten Treffen.
Verabredet wurde:
Alle, die das noch nicht gemacht haben, malen ein großes Bild einer Wohnung; kann auch surrealistisch sein; soll für eine Ausstellung im Jugendladen brauchbar sein. Papier ist im Jugendladen zu bekommen. Bei den nächsten Hausbesuchen wird nach dem Interesse an einer Telefonkette gefragt. Sonstige Vorschläge zur Verbesserung der Wohnsituation werden überlegt.
Der Institutionelle Rahmen
Alt und Jung am „Runden Tisch“ – Ein Protokoll
Empfehlungen des Runden Tisches zur Altenarbeit Köln – Nippes
1. Empfohlen werden neue, ehrenamtliche Besuchsdienste für alleinstehende alte Menschen. Gedacht ist hier an Pfarrgemeinden u.a. Gruppen. Träger der freien Wohlfahrtspflege sollen Personal zur Koordination zur Verfügung stellen. Die Stadt Köln soll die Sach- und Personalkosten bezuschussen. Hierbei ist eine Vernetzung von in der Seniorenarbeit Tätigen anzustreben, z. B. am Runden Tisch.
2. Pflegende Angehörige sollten entlastet werden. Dazu sollen Kurzzeitpflegesätze geschaffen bzw. erhöht werden. Die Service-Zentren sollen Kurzzeitpflege anbieten. Die Stadt Köln soll die vom Kurzzeitpflegesatz (2800,- DM für 4 Wochen) nicht gedeckten Kosten übernehmen.
3. Aufgrund der unzureichenden Sätze für Mobile Soziale Dienste in der Pflegeversicherung werden flankierende Finanzierungen von Stadt, Land und Bund für diese Dienste benötigt. Zur Verbesserung der Beratung sollen drei bis vier Servicezentren im Stadtbezirk errichtet werden. Zusätzlich zu den Mobilen Sozialen Diensten sollen besonders zeitintensive Einsätze (z.B. vier Stunden täglich) eingeführt und aus der Sozialhilfe finanziert werden.
Lebenslagen 2: Geschichte
Historische Interviews mit SeniorInnen
Auszüge aus dem Katalog
Mädchenerziehung 1941 in Palermo
Das Bild zeigt Frau D. im Alter von 16 Jahren. Da sie derzeit 69 Jahre alt ist, bedeutet dies, daß das Bild voraussichtlich im Jahr 1941 gemacht wurde. Frau D. erzählt über das Bild folgendes: Das Bild wurde gemacht kurz bevor ihr Vater in den Krieg ging. Zu dieser Zeit war sie noch nicht verlobt. Sie wurde erst mit 20 verlobt. Das Kleid, das Frau D. auf dem Foto trägt, heißt Modell Parici. Sie hatte es von ihrer Schwester ausgeliehen. Die Schwester hatte das Kleid selbst genäht. Frau D. kann sich daran erinnern, daß zu dieser Zeit noch Mussolini an der Macht war. Nochmal auf die Mädchenschule angesprochen sagt sie: „Das war eine tolle Schule. Ohne Jungen war es viel schöner.“ Scheinbar gab es im selben Gebäude auch eine Jungenschule. Unklar ist, ob Mächen und Jungen sich auf dem Hof sehen konnten.
Frau D. erzählt zunächst, daß es in Nippes früher anders aussah als heute. Sie erinnert sich noch an die Straßenbahn, die woanders fuhr als heute, z.B. auf der Kempener Str. Das Mädchen, das man auf dem Bild im Vordergrund sieht, ist heute 25 Jahre alt. Die Familie, die man sieht, ist heute in Italien. Eine Tochter aus dieser Familie lebt heute noch hier in Köln und ist verheiratet, aber zu ihr hat Frau D. keinen Kontakt gehabt, bis heute. Über eine italienische Schulfreundin hat N. den Kontakt zwischen der Familie und Frau D. wieder hergestellt. Jetzt kommt die dagebliebene Tochter Frau D. manchmal besuchen.
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Die Siebachstraße vor 20 Jahren
Nippes damals: Die Wohnungen waren noch stark vom Krieg beschädigt und noch nicht renoviert. Es gab noch mehr Lücken in der Bebauung und trotzdem war es nicht so schwer, eine Wohnung zu finden wie heute. Die Häuser waren auch außen noch nicht so renoviert wie heute. Zu der Zeit, in der das Foto gemacht wurde, hat Frau D. noch gearbeitet. Die Geburtstagsfeier wurde von der Familie organisiert. Neben Frau D. wohnte eine andere Frau, die ihr die Wohnungsschlüssel gegeben hatte, mit der sie oft Kaffee trank. Eines Tages war die Frau tot.
Projektbesprechung zu den historischen Fotos
Danach besprachen wir kurz die anderen Photos der Ausstellung. Dort befindet sich ein Photo während des Karnevals in der Nazizeit. Man kann zum Beispiel erkennen, wie die Leute damals gefeiert haben. Ein anderes Photo zeigt den Ausflug einer Kneipengesellschaft. Alle kennen sich, sie sind Nachbarn. Man kann erkennen, daß diese Gesellschaft zum bessergestellten Bürgertum gehört. Eine Feier von Handwerksburschen sähe anders aus. Das Photo ist von 1908. Am Sonntag hat man sich zu dieser Zeit immer feingemacht. Es war Kaiserzeit, da gab es keine Demokratie. Dann findet man noch ein Photo einer 7. Schulklasse in Köln-Riehl aus dem Jahre 1937. Mädchen und Jungen waren damals in getrennten Klassen. Alle gingen nur bis zur 8. Klasse in die Schule. In der Schule mußte man keine Uniform tragen aber in den Jugendorganisationen. Auf einem anderen Bild ist Frau B. in ihrem Ausbildungsbetrieb zu sehen. Es muß kurz vor der Reichskristallnacht 1938 aufgenommen worden sein. In dieser Nacht wurden viele jüdische Geschäfte und Synagogen von den Nazis angezündet und geplündert. Frau B. machte eine Ausbildung in einem jüdischen Schuhgeschäft. In der Reichskristallnacht wurde auch dieses Geschäft zerstört und sie mußte woanders eine Ausbildung machen. Später fand sie eine Ausbildungsstelle bei der Post, dazu ist auch ein Bild vorhanden. Sie erzählte, daß man nach der Reichskristallnacht von vielen schlecht angesehen wurde, wenn man in einem jüdischen Geschäft gearbeitet hatte. Natürlich ist es besser, wenn ihr euch die Ausstellung im Laufe der Woche einmal in Ruhe selbst anschaut. Bis dahin kommen auch noch einige Photos dazu.
Auszug aus einer Lesung
(anläßlich einer öffentlichen Veranstaltung des Runden Tisches zur Vorstellung der Altenhilfe in Köln-Nippes; auch gehalten beim Symposion des BMFSFJ zum Thema Alt/Jung für Multiplikatoren im Fernsehbereich)
Denizli/Türkei 1987
Das Foto wurde am 23. April 1987 aufgenommen. Das ist in der Türkei in unserem Dorf. Es war der Festtag des Kindes. Im Hintergrund sind alle Dorfbewohner versammelt. Ich stehe zusammen mit meiner Freundin auf dem Podium, weil wir ein Gedicht vortragen sollen. Ich bin sehr aufgeregt. Das Podium stand auf dem Dorfplatz. Zu Beginn des Festes haben wir getrommelt. Einige Tage vorher sind wir schon durch die Straßen gezogen und haben beim Spazierengehen den Rythmus eingeübt. Mein jüngerer Bruder und meine Oma sind auch unter den Zuschauern. Meine Eltern sind nicht dabei, weil sie schonin Deutschland leben. Nach der 5. Klasse bin ich dann leider auch nach Deutschland gezogen. Emel
Schule in der Kaiserzeit
Ich wurde 1909 geboren. 1915 kam ich in die Volksschule. Danach war ich auf einem Lyzeum für Mädchen. Meine Schwester war auch dort. Das hatte mein Vater entschieden. Mein Bruder war auf dem Realgymnasium. Gemischte Schulen gab es damals nicht. Das Zeugnis auf dem Lyceum fing mit Noten für Führung und Aufmerksamkeit an. Strunzer, also Angeber, die nannten wir damals Pfiffi. In meiner Volksschulzeit war das so: Wenn der Kaiser gewonnen hatte, da haben wir uns gefreut. Dann kriegten wir immer schulfrei. Und wenn er Geburtstag hatte, kriegten wir alle Fähnchen. 1919 hatten wir dann die Demokratie. Ich glaube 1918 ist der Kaiser nach Holland geflüchtet. Der lebte dort im Haus Dorn. Es haben sich dann Freundeskreise gebildet, die ihn besucht haben. Das waren die Kaisertreuen. Mein Vater war auch dabei. Frau F.
Nippes 1989
Das Foto wurde bei einem Sommerfest auf dem Spielplatz am Erzberger Platz aufgenommen. Ich habe dort auf dem Flohmarkt meine Spielsachen verkauft. Damals war ich auf der Grundschule in der Steinberger Str. Am Anfang haben die Lehrer meine Eltern oft in die Schule gerufen. Sie wollten, daß ich in eine türkische Klasse gehe oder daß ich die 1. Klasse wiederhole. Meine Eltern wollten das nicht. Wir hatten einen Bekannten, der war in der türkischen Klasse. Das mit der Sprache ist bei ihm auch nicht besser geworden. Ab der 3. Klasse ging es besser. Da hatte ich eine deutsche Freundin.
Alt und Jung in der Sammlung Eritrea
Fachbeitrag
Alt und Jung – Dialog der Generationen als interkulturelles Projekt – Chancen der Kooperation von Altenhilfe, Jugendhilfe und Migrantensozialarbeit
Wolfgang Zaschke
Ein Projekt wie ‘Alt und Jung’ im Kölner Nippes Museum, in dem ausländische Jugendliche meist deutsche Seniorinnen betreuen, berührt zugleich Fragen der Altenhilfe, Jugendhilfe und Migrantensozialarbeit: Verstärken oder behindern sich interkulturelle und intergenerative Begegnung? Gewinnt die Begegnung zwischen Alt und Jung durch die Beteiligung von Migranten? Kann umgekehrt die interkulturelle Arbeit durch Basisaktivitäten der Jugend- und Altenhilfe verbessert werden? Welche Grenzen von Kooperation und Übertragbarkeit sind zu erkennen?
Als die Jugendlichen ihren Besuchsdienst bei deutschen Senioren 1992 begannen, der zweimal wöchentlich stattfindet und kleine Hilfen im Haushalt, Spazierengehen und Zeit für Gespräche vorsieht, sollte dies der interkulturellen Verständigung dienen, ein Projekt gegen Fremdenfeindlichkeit auf der Ebene einer sonst unwahrscheinlichen konkreten Begegnung. Den Rahmen bildete ein Bundesmodell der Jugendsozialarbeit und Mädchenarbeit, durchgeführt in einem Stadtteilzentrum, dessen Programm Förderunterricht, Sprachkurse und Projekte für jährlich 400 Schüler, in der Mehrzahl Migrantinnen umfaßt. Das Teilprojekt Alt / Jung wurde von den Partnern in der Altenhilfe und von der Sozialplanung der Stadt zugleich als vorbildlich einfach, andererseits, mit Blick auf die getrennte Vernetzung von Alten- und Jugendhilfe und die Struktur der Altenhilfefinanzierung, als exotisch und kaum verallgemeinerbar angesehen. Sechs Jahre später hatte das Thema im Zuge seiner bundesweiten Aufwertung offenbar an Aufmerksamkeit gewonnen. In Köln dokumentierte das Amt für Kinderinteressen Interviews zum Thema Alt & Jung, die der politischen Beteiligung von Kindern in der Rathausschule dienen sollten. Die neu eingerichtete städtische Förderung offener Altenhilfe für Migranten berücksichtigt Aktivitäten, die der Begegnung von Alt und Jung dienen. In der Berufshilfe kamen Ausbildungsprojekte für Jugendliche und junge Erwachsene im Bereich der professionellen Pflege und Altenhilfe hinzu. Große Wohlfahrtsverbände, wie z.B. Caritas, AWO und DRK, verstärken ihre Stadtteilorientierung und Ehrenamtlerwerbung, wobei auch an die Beteiligung von Jugendlichen gedacht wird.
In der Modelleinrichtung wirkten bisher 40 Jugendliche und 50 Seniorenhaushalte, meist über mehrere Jahre, mit. Durchschnittlich fanden 8 – 10 Betreuungen gleichzeitig statt. Neben Hausbesuchen und Projektbesprechungen entstand eine Ausstellung zum historischen und biographischen Vergleich der Schul- und Berufswege, Freizeit-, Wohn-, Kriegs-, Flucht- und Auswanderungserfahrungen von Senioren und Jugendlichen, ergänzt um eine Lesung mit Overheadprojektion für öffentliche Veranstaltungen. Die Jugendeinrichtung arbeitete mit am Runden Tisch der Altenhilfe im Stadtbezirk Köln-Nippes, der sich um verbesserte Kooperation, gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit sowie neue Aufgaben und Konzepte, etwa bezüglich der älteren Migranten bemüht. Nebenaktivitäten waren die Herausgabe eines internationalen Kochbuchs mit Rezepten der beteiligten Senioren und Jugendlichen, Expertenbefragungen in der Projektbesprechung, gemeinsame Essen, Ausflüge und ein Landtagsbesuch mit Senioren und Jugendlichen. Betreuung, Ausstellung, Lesung, Besprechungen und öffentliche Veranstaltungen entwickelten sich zu einem außerschulischen Lernfeld im Umfeld der Stadtteileinrichtung, einer Art Eigenpraktikum unterhalb der Schwelle berufsbezogener Vollzeitmaßnahmen, jedoch mit höherer Verbindlichkeit als gewöhnliche Freizeitangebote. Aus der Projektanleitung ging ein Curriculum zur Aus- und Fortbildung in Jugend- und Altenhilfe unter Berücksichtigung von Teilnehmern ohne Ausbildung hervor. Der Kontext des Jugendmuseums förderte die Einbindung des Projekts in die Öffentlichkeit der Jugendlichen, ihrer Familien, der Altenhilfeträger und der Stadtteilöffentlichkeit. Mit dem Verleih der Ausstellung als Wanderausstellung wird eine breitere Öffentlichkeit angestrebt. Projektvorstellungen erfolgten zunächst bei überregionalen Veranstaltungen im Rahmen der Bundesinitiative zum Dialog der Generationen. Die Jugendlichen wirken bei Dokumentation, Auswertung, Projektvorstellungen, Ausstellung und Begleitprogramm mit, indem sie Fallbesprechungen einbringen, an Senioreninterviews teilnehmen, verschriftliche Interviews interpretieren, eigene Interviews, Fotos, Bilder und Zeichnungen (z.B. Wohnungsbilder) beitragen oder die Lesung zur Ausstellung vortragen.
Ergebnisse aus der Sicht von Jugend-, Alten- und Migrantenarbeit
Aus der Perspektive der Jugendarbeit mit Teilnehmern aus verschiedenen Sozialmilieus, vom ehemaligen Sonderschüler bis zur Gymnasiastin, bewirkte die intergenerative Begegnung eine grundlegende methodische Erweiterung und Vertiefung gegenüber den sonst üblichen Lern-, Gruppen-, Projekt- und Beratungssituationen. Für die Jugendlichen bedeutet die Beteiligung Einnahme einer ernsthaften, teilweise professionellen Sichtweise, Übernahme von Verantwortung in einem außerschulischen Lernfeld, Erweiterung von Motivations-, Verhaltens- und Bildungsressourcen, öffentliche Darstellung der eigenen Arbeit, Selbstreflexion bezüglich Familie, persönlicher Biographie und nicht zuletzt Aktualisierung und Ausformulierung, Differenzierung und Überwindung von Vorurteilen über Alter, Krankheit, Tod, nationalitätenspezifische Lebensweisen und den Sinn sozialen Engagements. Anstoß zu solchen Erfahrungen geben die Vielfalt der Lebenslagen, in denen sich die Senioren und Seniorinnen befinden (arm / reich, deutsch / ausländisch, schüchtern / fordernd, fremd / vertraut, gesund / krank), das Kennenlernen von Vor- und Nachteilen der im Stadtteil vorhandenen Betreuungsangebote, von der häuslichen Pflege bis zur Heimunterbringung, die Entdeckung von Vereinzelung als verbreiteter, institutionalisierter Lebensform jenseits der Familie, die Beobachtung von Widersprüchen zwischen Selbstcharakterisierung und Zuschreibungen gegenüber alten Leuten und Jugendlichen, die Relativierung von Stereotypen und Autoritäten (Alter, Jugendlichkeit, Stärke / Schwäche) und nicht zuletzt die Methode des Projektlernens als komplementäres Bildungsangebot außerhalb der Schule. Die Möglichkeit, Institutionen der Altenhilfe und deren Berufsgruppen im Rahmen eines langfristigen, außerschulischen Praktikums zu beobachten, erfüllt zugleich die Funktion einer allgemeinen, keineswegs arbeitsfeldgebundenen, beruflichen Propädeutik. Die Mitwirkung bei der öffentlichen Darstellung und Einmischung ermöglicht politische Bildung und Partizipation, die Betreuungsaufgabe zusätzliche Anerkennung von seiten der SeniorInnen.
Aus der Perspektive der Altenhilfe kam durch den bezüglich der Pflege zweckfreien Kontakt zu Jugendlichen ein unpragmatisches, sozialpflegerisches Element zum Tragen. Die Senioren hatten zum ersten Mal seit vielen Jahren Kontakt zu Jugendlichen oder besuchten erstmals in ihrem Leben eine Jugendeinrichtung. Von seiten der kooperierenden Altenhilfeträger im Stadtteil wurde das Angebot der Jugendlichen als berechtigte und willkommene, wenn auch quantitativ unzureichende Ergänzung professioneller Pflege begrüßt. Die vielfach beklagten Defizite der professionellen Pflege im kommunikativen, sozialpflegerischen Bereich wurden durch die Begegnung mit dem Jugendprojekt aktualisiert und erzeugten aktive oder passive Reaktionen. Aktiv kooperierten zwei Sozialstationen freier Wohlfahrtsverbände, ein kleiner freier Träger und zwei private Pflegedienste. Diese übernahmen Mitverantwortung hinsichtlich der medizinischen Beratung bei Fall- und Projektbesprechungen, gaben Anleitung zum Umgang mit dem Rollstuhl und vermittelten aus eigener Initiative Kontakte zu Senioren. In einem Fall kam eine gemeinsame Antragstellung für eine EU-Maßnahme Alt / Jung zustande, die jedoch an den EU-Kriterien der Beschäftigungsförderung scheiterte. Später wurde die Vertiefung durch ein Europaprojekt im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative Beschäftigung INTEGRA ermöglicht, in dem der Ansatz von Alt / Jung im Sinne der Aus- und Fortbildung interkultureller Mediateure umgesetzt wurde. Einführung und Beratung der Senioren bezüglich des Umgangs mit Jugendlichen regte auch das medizinisch ausgebildete Personal zur Übernahme einer verstärkt sozialpflegerischen Perspektive an. Die bei der Mehrzahl der Träger im Stadtteil überwiegende passive Reaktion kann demgegenüber als wohlwollende Toleranz und Mitwirkung nach Aufforderung im Einzelfall beschrieben werden, eine Haltung, die meist mit den Sachzwängen des eigenen Zeitbudgets begründet wurde. Eine Bereicherung der Altenhilfe über die sozialpflegerische Dimension hinaus wurde von den in der Altenhilfe tätigen kirchlichen Ehrenamtlern entdeckt, die sich für die im Projekt enthaltenen Momente einer Sozial- oder Zivilgemeinde interessierten, ein Aspekt, der auch von den im Überbau der Verbände oder in der Fortbildung von Ehrenamtlern tätigen Multiplikatoren hervorgehoben und als Anregung für die eigene Arbeit aufgegriffen wurde.
Die von der Modelleinrichtung beanspruchte Interkulturelle Arbeit im Stadtteil profitierte vom Projektansatz Alt / Jung v.a. wegen des nötigen Rückgriffs auf Basisaktivitäten der Jugend- und Altenhilfe. Der Abbau von Fremdenfeindlichkeit wurde einmal nicht als Appell für Toleranz, d.h. oberflächlich werbend, protektiv oder beschützend, mit Blick auf Meinungen oder Einstellungen – als vermeintlich modellierbare unabhängige Variable – angesprochen, sondern als selbstverständlicher Nebeneffekt eines partnerschaftlichen Umgangs zwischen Jugendlichen und Senioren, Jugend- und Altenhilfeeinrichtungen erwartet – sozusagen als abhängige Variable geglückter Begegnung. Statt Vorurteile durch einen Appell an kulturelle Toleranz zu überspielen, sollten diese in der Praxis ausformuliert, versprachlicht, in konkrete Konflikte übersetzt und damit als veränderbar erfahren werden. Als hilfreich erwies sich die Setzung formaler Teilnahmebedingungen, d.h. von Verhaltensregeln, Projektnormen und indirekten Anreizen in Verbindung mit einer kollegialen Beratung. Der partnerschaftliche Umgang wurde gefördert durch die Veränderung der herkömmlichen Betreuungsziele (Kommunikation, Kultur, Gespräch statt materielle Versorgung), den veränderten Zeithorizont (langfristige, schulbegleitende Kontakte, teilweise mit Familienanschluß), die Versachlichung der Kontakte (z.B. Neutralisierung von Geld, Geschenken und emotionaler Abhängigkeit durch eine eigene Aufwandsentschädigung für die Jugendlichen), die Auseinandersetzung mit instrumentellen Auffassungen der Jugendlichen wie der Senioren (z.B. Instrumentalisierung des Projekts als Mittel zum Geldverdienen oder Mißbrauch der Jugendlichen als billige Putzkräfte) und Transparenz über die Einbindung des Projekts in das Netz der örtlichen Altenhilfe und der Interessenvertretung für Senioren und Jugendliche.
Zu den Vorurteilen und Kontaktbarrieren, die schon durch formale Projektregeln abgebaut werden konnten, gehörten manifeste fremdenfeindliche Einstellungen, wie z.B. die Ablehnung einer türkischen Schülerin aus Scham vor den deutschen Nachbarn, ablehnende Reaktionen von seiten Dritter, z.B. in ihrem Verhalten verunsicherter Verwandter, oder die Umdeutung jugendlicher Kleidung und Verhaltensweisen in mangelnden Integrationswillen ‚der Fremden‘. Auf seiten der Jugendlichen konnten Vorurteile, esoterische oder magische Ansichten über Krankheit und Tod, stereotype Vorstellungen von sehr alten Leuten, pragmatische, auf Gelderwerb fixierte Normen in der eigenen Familie und v.a. beleidigte Reaktionen auf autoritäre oder fremdenfeindliche Momente im Verhalten der Senioren relativiert werden. Zu konstatieren waren ferner eine normsetzende Wirkung des Projekts in der Öffentlichkeit der Jugendlichen, die Auffassungen über Schule, Beruf, Nationalitätenunterschiede, Alter und Sozialpflege auch über den direkten Teilnehmerkreis hinaus beeinflußt, und eine veränderte Wahrnehmung und erhöhte Akzeptanz gegenüber der Einrichtung in der deutschen Nachbarschaft. Das interkulturelle Anliegen scheiterte nur in den wenigen Fällen vollständig, in denen Senioren ausschließlich entgeltliche, funktional abzurufende Serviceleistungen erwarteten, oder den Kontakt aus Gründen des Status, der Nationalität, des Geschlechts, der Schichtzugehörigkeit oder des vermeintlich geringeren Bildungsniveaus der Jugendlichen von Beginn an ablehnten.
Institutionelle Grenzen der Kooperation
Zieht man eine Bilanz aus der Perspektive der Vernetzung von Alten-, Jugend- und Migrantenarbeit, so wird der Teilerfolg im konkreten Projekt, die wechselseitige qualitative Bereicherung der Arbeitsfelder, stark durch die erfahrenen Grenzen der Ausstrahlung und Übertragbarkeit getrübt. Zwar gelingen in der fallbezogenen Kooperation immer wieder und selbstverständlich Vermittlung und Beratung von seiten der benachbarten Pflegedienste, die Unterstützung mit Transportfahrzeugen und Zivildienstleistenden, die Kooperation mit Altentreffs als Ausflugsziel oder als Treffpunkt für Kochaktionen. Als Bestätigung dürfen neben den langfristigen Modellförderungen von Bund und Land auch die kurzfristigen Förderungen des Projekts als Maßnahme gegen Fremdenfeindlichkeit von seiten der Stadt Köln und des MAGS NRW, die Teilförderung aus der offenen Altenhilfe der Stadt für Migranten und die öffentliche Unterstützung durch Seniorenvertretung und Sozialdezernat gewertet werden. Dennoch überwiegen institutionelle Faktoren, die einer Verbreitung des Ansatzes entgegenstehen. Auf seiten der Altenhilfeträger zählen hierzu der Pragmatismus ökonomisierter Pflegedienste und die Integration der stadtteilbezogenen häuslichen Pflege in von diesen dominierte Servicezentren, aber auch die nationalitätenspezifische Fixierung eines Teils der Träger von Migrantensozialarbeit, die, in Verlängerung der Tradition klientelisierender Sozialberatung, eine Trennung von Deutschen und Migranten auch im Alter propagieren. In der Jugendhilfe verhindert das traditionelle Konzept der Jugendfreizeitstätten, daß Jugendzentren Projektformen wie Alt / Jung neben Sport und Erlebnispädagogik aufgreifen. Dennoch dürften die Chancen für eine Grenzüberschreitung in der Jugendhilfe – wegen der pflegeunabhängigen Finanzierung und des in sozialpflegerischer Hinsicht höheren Qualifikationsniveaus – besser sein als auf seiten der Altenhilfeträger. Dasselbe gilt auch für Migrantenzentren und Schulen, die langfristige Projektformen wie Alt / Jung mit geringem Aufwand realisieren könnten. Daß dies trotz der allgemeinen Aufwertung vernetzter Arbeitsformen nicht stattfindet, deutet auf tieferliegende Barrieren, die durch organisatorische Anstrengung oder Werbung für Vernetzung allein nicht zu überwinden sind.
Subjektive Grenzen und Bedingungen des Dialogs zwischen Jugendlichen, Senioren und Fachkräften
Tatsächlich sind die Bedingungen für einen partnerschaftlichen Umgang weder auf seiten der Jugendlichen, noch auf seiten der Senioren spontan und selbstverständlich gegeben, sondern erfordern eine permanente Begleitung und Beratung, die neben den genannten formalen Bedingungen auch die inhaltliche Aufarbeitung von Vorurteilen verlangt. Eine Unterstützung kann, wie im Kölner Projekt, darin bestehen, Deutungsmuster zu Alter, Jugend, Deutschen, Ausländern, zu Lebensstrategien, Freundschaft oder Helfen auszuformulieren, die im Hintergrund von Oberflächenmeinung, Vorurteil und Ressentiment stehen, eine Übung, in die auch Laien anhand verschriftlichter Texte einzubeziehen sind. Andererseits kann die Unterstützung einer semiprofessionellen Sichtweise auf seiten der Adressaten nur eine Ergänzung zum alltäglich möglichen Verstehen sein, das im Denken der beteiligten Jugendlichen und Senioren eine lebendige Grundlage besitzen muß.
Betrachtet man die krassen sozialen Gegensätze zwischen den Senioren sowie zwischen Senioren und Jugendlichen und die meist unverhohlen ausgesprochenen Vorurteile, so erstaunt, daß partnerschaftliche Beziehungen dennoch in vielen Fällen zustande kommen. Wie dies möglich ist, verdeutlichen erst die lebensgeschichtlichen Interviews, die ein Nebeneinander von kaum verdeckten Oberflächenressentiments und tieferliegenden Motiven und Kompetenzen belegen. So werden fremdenfeindliche Denkmuster im Nachvollzug der biografischen Erzählungen z.Tl. als Bestandteil allgemeiner Ordnungsvorstellungen oder Ideologien durchschaubar und damit relativiert. Das im Oberflächenressentiment zuweilen durchschimmernde Denkmuster des ‘Auge um Auge – Zahn um Zahn’ wird in den meisten Erzählungen immanent revidiert, durch die Schilderung geglückter Freundschaften oder organisierter Solidarformen, sei es im Rahmen der Gewerkschaft oder im Kreis der Kaisertreuen. Die Verdrängung von Judenvernichtung und Euthanasie während der Nazizeit steht in einer Erzählung unvermittelt neben dem ernsthaften Schuldgefühl und der selbstlosen Fürsorge für den kriegsversehrten Ehemann. Das nationalistische Ressentiment einer vom Bürgerkrieg beeinflußten kroatischen Schülerin bleibt nachrangig gegenüber ihrem praktisch vollzogenen interkulturellen Engagement in Deutschland.
Die Interviews lassen jedoch nicht nur einzelne Hintergrundthemen, sondern auch eine thematische Hierarchie, ein Zentrum der verwendeten Deutungsmuster erkennen. Die von den Senioren formulierten Lebensstrategien, vom ‘Auge um Auge’ über den geschickten Umgang mit Beziehungen und die organisierte Interessenvertretung bis zum individuell lauteren Sichhocharbeiten sind den Jugendlichen teilweise aus dem eigenen Denken und Milieu vertraut. Faßt man die Tendenz kursorisch zusammen, so ergibt sich ein Schwerpunkt oder eine Schnittmenge der Themen und Deutungsmuster beider Gruppen, den man als alltagsphilosophische Positionsnahme zu Industrie- und Arbeitsgesellschaft charakterisieren kann, als Suche nach dem richtigen Leben zwischen den Extremen Verweigerung und Anpassung in der Konkurrenz. So sehr sich die Arbeits- und Lebensphilosophien der ehemaligen Postbeamtin, der Unternehmerin und der Eisenbahnergattin, der Gymnasiastin und der Hauptschülerin in ihren oberflächlichen Ansichten auch unterscheiden mögen, allen gemeinsam ist die Zentralstellung des Denkens über Arbeit und Beruf, ein aus dem Vergleich zu konventionellen Normen, Erfolgskriterien und Grundfertigkeiten gewonnenes Selbstbild. Die Selbsteinschätzungen und lebensgeschichtlichen Deutungen streuen, sich teils identifizierend, teils abgrenzend, um das Bild des erfolgreichen Arbeiters oder Ingenieurs, die auch in ihren weiblichen Varianten eine lineare Vorstellung von Fortschritt und Aufstieg verkörpern, Symbole eines Weltbildes, in dem Krankheit, Alter und Tod so systemfremd erscheinen wie der oder das Fremde, und das menschliche Züge als Spiegelbild eines mehr oder weniger rigide erlebten Arbeitslebens ins Private verschiebt. Der ideale, zweckrationale Sozialcharakter wird von Jugendlichen und Senioren als obrigkeitlich gesetzte, quasi natürliche Konvention erlebt oder antizipiert.
Die Interviews belegen in einem weiteren Schritt, daß die Begegnung zwischen Alt und Jung, wie die zwischen Deutschen und Ausländern, keineswegs vom Konsens über die konventionelle Sozialmoral abhängt, daß naive Identifizierung mit dem Common-sense die Begegnung sogar verhindern kann. Zwar werden zweckrationale, handwerkliche, instrumentelle Motive, das Flair der technischen Fertigkeiten oder der Techné in alle Beziehungen hineinspielen, sei es, daß eine Schülerin sich vom Kontakt zu ihrer Seniorin mehr Kontakt zu Deutschen oder Verbesserung ihres Deutsch verspricht oder daß eine Seniorin die jugendliche Partnerin vom ‚eigentlichen‘ Freundeskreis fernhält. Was Jugendliche und Senioren tatsächlich aneinander begeistert, ist weder das Äugen auf den kleinen Vorteil, die Bewunderung der Karriere oder des Erfolgs noch das zur Anbetung des Zweckrationalen spiegelbildliche Mitleid mit dem Schwachen und Minderwertigen, sondern eine geheime Solidarität über die lebensgeschichtlich erreichte Abweichung vom Normalen oder Konventionellen, eine gemeinsame Freude an der menschlichen Fähigkeit oder Phronesis, d.h. an dem in der individuellen Lebensgeschichte konkret erreichten Richtigen, Gerechten und Schönen. Die Freundschaft der kroatischen Schülerin zur früheren Unternehmerin, die isoliert, an die Wohnung gefesselt lebte, entzündete sich am Widerstand der Dame gegen die Verhaltenskontrolle der Verwandten, nicht an der Bewunderung ihres früheren Erfolgs und Reichtums. Eine andere Schülerin entwickelt ein solidarisches Gefühl gegenüber ihrer Partnerin, die als eine der ersten Frauen Karriere bei der Post machte, nicht wegen des emanzipierten Berufswegs der Dame, sondern wegen ihres Mutes, die Kinder der Schwester im eigenen Haushalt zu erziehen, die sie heute ignorieren. Dem konventionellen, zweckrationalen Ideal widerspricht auch die Passion einer früheren Musiklehrerin, die alle für sie bedeutungsvollen Zeitungsausschnitte in persönlich gewidmeten Weihnachtsheften aufklebt. Tiefer als das Angebot einer Seniorin zur kostenlosen Nachhilfe im einen Falle verbindet das solidarische Lachen der Partner über die mißratene Klassenarbeit der Schülerin in einem anderen.
Über Mindeststandards eines partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Dialogs ist aus dieser Auswertung zumindest soviel zu lernen, daß die gelungene Begegnung einen beiderseits gewollten oder zumindest erahnten Schritt über die Konventionen des Zweckrationalen, der Erfolgsorientierung und der technischen Effizienz, einen minimalen Widerstand gegen lineare Zeitauffassung, Aufstiegsorientierung und funktionale Beziehungspflege voraussetzt, eine religiös, wissenschaftlich oder anderweitig erworbene Bereitschaft zu Transzendenz und Distanz gegenüber pragmatischen Zumutungen, auch wenn sie sich als modern oder postmodern ausgeben. Man kann die subjektiven Grenzen der Begegnung von Alt und Jung in einem schlichten Satz fassen: Die subjektive Grundlage einer gelingenden Begegnung von Alt und Jung ist eine beiderseitige Lust auf Bildung.
Soll diese bei allen Senioren und Jugendlichen anzutreffende Kompetenz durch den institutionellen und professionellen Rahmen begünstigt, zumindest nicht entmutigt werden, verlangt dies, daß auch Fachkräfte und kooperierende Einrichtungen die gedankliche Reise in die Alternative mit vollziehen, sie als Voraussetzung der eigenen Arbeit erkennen. Die Erweiterung der inneren, professionellen Grenzen der Kooperation erfordert dann Verständnis und Wertschätzung gegenüber unkonventionellen, gesellschaftlich nicht honorierten subjektiven Fähigkeiten oder Marotten. Vor diesem Hintergrund scheiden allzu einfache, pragmatische Organisationsmodelle von vornherein aus. Eine Ehrenamtlerwerbung ohne fachliche Anleitung und Fortbildung, die den Blick für unkonventionelle subjektive Ressourcen öffnet, muß vor dem Hintergrund der Modellerfahrungen ebenso scheitern wie Mobilisierung und Vernetzung im Vertrauen auf abstraktes, abgeleitetes oder helferisches Engagement. Gesprächs- und Interaktionskompetenz im Arbeitsfeld Alt / Jung / Migration lebt von Grenzüberschreitungen und unkonventionellen Sichtweisen auf die generativen Themen Alter, Tod, Freundschaft, Liebe und Solidarität. Die Erkenntnis, daß Freundschaft mit der gemeinsamen Abweichung von der Konvention beginnt, mag in der Philosophie nicht neu sein. In der sozialen Praxis bedeutet sie, daß eine Ausweitung von intergenerativen und inter- oder transkulturellen Ansätzen eine interne methodische Revision in den Einrichtungen der Jugendhilfe, Altenhilfe und Migrantenarbeit zur Voraussetzung hat. Benötigt werden die Rückbesinnung auf Basisqualifikationen sozialer Arbeit und ihr Transfer in den Alltag und die Kompetenz der Adressaten. Defizitkonzepte, subtile Fürsorge und die Einschüchterung durch autoritäres Fordern und Fördern wären abzulösen durch die Erweiterung der Ausbildung in Schule und Beruf um eine lebenspraktische politische Bildung, sei es durch die Ausbildung von interkulturellen Mediateuren, Projekte zur Einmischung und Partizipation oder auch durch eine reformierte Beratung. Politisch soziale Aufklärung und Ermächtigung verspricht auch in Schule und Beruf mehr Erfolg als die Überredung zu abstrakter Folgebereitschaft. Wäre dies nun eine schlechte Nachricht? (zuerst in Sozialpädagogik 4/1997)
Publikationen
Katalog, Führung und Analyse: ISBN 3-9808826-0-8
/Publik
Alt und Jung als Langzeitprojekt: damals und heute
Anlässlich einer Sendung, die 2014 im WDR („Mittendrin“) verbreitet wurde, fand ein Treffen mit mehreren Generationen, heutigen und früheren Teilnehmerinnen statt, das ihre Motivation und Erfahrungen beleuchtet:
Wie läuft der Besuchsdienst heute ab ?
Ich bin 26 Jahre alt und besuche eine türkische Seniorin. Am Anfang habe ich mich erst mal zurückgehalten, weil, das hab ich zum ersten Mal gemacht. Ich hab auch sonst Beziehungen zu Älteren, z.B. mit meiner Oma oder meinem Opa. Aber mit einer fremden Person einfach so die Zeit zu teilen, das ist etwas ganz anderes. Am Anfang war ich schüchtern. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran und jetzt treffen wir uns fast jede Woche. Wenn schönes Wetter ist, gehen wir mal raus, einkaufen, da gibt es direkt daneben ein kleines Geschäft. Wir kochen zusammen, gucken Serien, also das ist immer unterschiedlich, wenn ich dahin gehe. Sie erzählt mir viele Geschichten, ich erzähl ihr meine Probleme, sie erzählt mir ihre Probleme. Sie ist sehr warmherzig. Ich habe jetzt das Gefühl, ich will sie nicht verlieren. Auch, wenn ich sie mal nicht erreiche … Das geht jetzt drei, fast vier Jahre. Wenn wir uns mal eine Woche nicht treffen, telefonieren wir, ich ruf sie an, sie mich. Sie hat ja auch Enkel, auch Kinder, aber trotzdem, das ist ganz anders.
Was haben die jungen Leute von der Begegnung ?
Sie hat mir viel darüber erzählt, wo sie früher gearbeitet hat. Sie kann gut nähen, sie hat auch selbst Kleider genäht. Sie zeigt mir immer, was sie genäht hat. Oder sie zeigt mir Fotos von früher. Und wenn ich z.B. mal Streit habe zu Hause, sagt sie: „Geh mal die Sache viel ruhiger an, dann beruhigst du auch genauso deine Mutter und dann entsteht auch kein neuer Streit.“ Die Alten sind gelassener. Und sie haben viel Lebenserfahrung. Aber die haben auch eigene Probleme, die sie mit uns teilen. Meine Frau hat z.B. manchmal Angst, dass sie hinfällt. Es ist gut, wenn sie ihre Ängste mit uns teilen und wir sie dann unterstützen. Es ist auch angenehm, wenn Vertrauen da ist. Sie sagt dann: „Geh mal ins Schlafzimmer“ oder „Hol mal was aus meinem Schrank“ oder „Geh mal in die Küche, guck mal da unten in der Schublade“… Und natürlich denke ich auch manchmal daran, dass wir selber alt werden. Dann möchte ich auch jemanden haben.
Wie war das denn damals, vor 20 Jahren ?
Ich bin N. und ich hab die Frau D. betreut, vor 20 oder 22 Jahren, weiß ich nicht mehr genau. Also, sie war nicht so gelassen, sie hat wirklich mich kontrolliert und hat mir gesagt, was ich tun darf oder nicht tun darf. Ich war damals 15 und auf der Hauptschule. Dann wurde ich Erzieherin in München. Jetzt bin ich zurückgekehrt. Frau D. war eine Italienerin und ich kam als Türkin. Wenn wir einkaufen gegangen sind, hat sie auf Italienisch erzählt, ich hab auf Deutsch übersetzt. Ich konnte nicht Italienisch, aber ich konnte sie verstehen. Am Anfang hatten wir Schwierigkeiten. Ich denke, sie hatte sehr viele Vorurteile gegenüber Türken. Und sie hat mich nur als Putzfrau gesehen. Sie hat gedacht „Och, jetzt kommt die zu mir, ich bin eine alte Frau, dann kann sie mal ein bisschen den Keller putzen und abspü¬len.“ Dann haben die Mitarbeiter ihr gesagt: „Ja, die ist nicht zum Putzen da!“ … Und ich habe sie zur Rede gestellt, was sie gegen Türken hat. Mit der Zeit ist sie locker geworden, sie hat Vertrauen zu mir gewonnen. Ich durfte mal alleine in der Küche sein .. Wir haben im Seniorenheim da drüben mit einer Gruppe gekocht, das war auch eine schöne Sache. Und jede Woche gingen wir zum Altenclub in der anderen Gemeinde mit Kuchen und Klavier. Wir haben uns arrangiert, dass wir uns gesagt haben: „Ja, komm, wir versuchen es miteinander.“
Wie funktioniert das mit der Ausstellung ?
Also, mit der Ausstellung ist das bei mir so, dass zuerst jeder ein Bild von der Wohnung malen sollte. Später kamen alte Fotos dazu. Ein Bild war zum Beispiel die Wohnung einer Dame mit ihrer Katze. Sie hatte ein Testament gemacht, in dem stand, dass ihre Wohnung nur bekommen soll, wer auch die Katze übernimmt. Damals war es schwer, eine Wohnung zu finden. Später hat mir Frau D. ihre alten Fotos gezeigt und von der Jugend in Palermo unter Mussolini erzählt. Den fand sie gut. Zuerst wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Das Bild von ihrem Lieblingskleid ist noch in der Ausstellung zu sehen. Zum Bei-spiel, da sind von mir und Frau D. Bilder in diesem Nippes Museum-Buch. Sie hat mir auch beigebracht, Tango zu tanzen.
Ist das heute besser mit den Vorurteilen ?
In München hatte ich eine Nachbarin, eine Deutsche. Wenn ich mal Sorgen hatte, hab ich sie angerufen, „Kann ich mal kommen?“ und dann bin ich zu ihr hingegangen und hab meine Sorgen erzählt und die hat mir Tipps gegeben, dann fühlte ich mich immer besser. Aber die Konflikte fangen heute schon mit dem Freizeitangebot an, ja. Eine Familie, die viel Geld hat, die kann ihr Kind zum Ballett bringen, zum Klavierunterricht und und und. Und eine andere Familie, die gerade zum Überleben Geld hat, kann alles nicht mitmachen, also ist schon diese Trennung da, von Anfang an.
Wie läuft das heute ab ?
Ich bin 15 und auf dem Gymnasium. Ich besuche Frau K. Letztes Jahr im Sommer hab ich angefangen. Wir gehen spazieren, haben schon mal zusammen gekocht, wir reden auch. Frau K. fragt mich oft und viel über mich und ich auch viel über ihre Vorgeschichte. Sie waren ja auch vertrieben und das interessiert mich, also Flüchtlinge an der Oder-Neiße-Linie. Das interessiert mich sehr. Und mit diesem in die Zimmer gehen, dass die Schüler das nicht dürfen, hatten wir noch nie. Ich durfte bei ihr überall rein und sie lässt mich auch alleine. Viel Zeit haben wir leider nicht, weil ich hab jetzt bis vier Schule. Ja und dann noch Hausaufgaben und Arbeiten. Dann gibt’s immer diese Klausurperioden, da kann ich fast gar nicht. Sie sagt dann immer: „Das ist ’ne freiwillige Sache. Schule geht vor.“
Was hast Du davon ?
Ich klage bei ihr auch über meinen Klausurenstress, und sie sagt: „Hey, mach dir keinen Kopf, Hauptsache, man ist gesund und die Gesundheit geht vor.“ Das beruhigt mich sehr. Wir haben auch schon mal gekocht, z.B. Luftschnittchen aus Blätterteig. Ja, das ist eine große Gemeinsamkeit von uns, das Kochen und neue Rezepte ausprobieren. Und wenn wir planen, dann unternehmen wir auch so was wie Spazierengehen und ich hab schon ihre Tochter kennen gelernt. Und jetzt in der Klausurperiode komm ich auch mal unangemeldet und dann sitzen wir im Raum da und reden so manches Stündchen.
Verstehst Du das als Ehrenamt ?
Manche haben vielleicht andere Gründe, zum Beispiel, wenn man sehr religiös ist, dann macht man vielleicht Ehrenamt, damit man ins Paradies kommt.
Kann man Freundschaften schließen ?
Ich bin schon sechs oder sieben Jahre in dem Projekt. Und im letzten Jahr konnte ich nicht mehr ganz mitmachen, weil ich mit dem Studium angefangen habe. Ich habe vier Senioren begleitet. Die Dame, die ich zuletzt im Heim besucht habe, ist nach kurzer Zeit gestorben, deswegen könnte ich nicht sagen, dass das auch eine Freundschaft war, das war ein bisschen Bekanntschaft. Es gab natürlich eine Dame, die ich auch noch betreut habe, die kannte ich viel länger und es hat sich eine Beziehung entwickelt. Wir haben uns regelmäßig getroffen. Erstmal war ich auch bei ihr zu Hause und dann irgendwann musste sie in ein Altersheim, dann haben wir uns auch im Altenheim regelmäßig getroffen und sind auch manchmal spa¬zieren gegangen. Manchmal haben wir uns gegenseitig auch Bücher vorgelesen und Kaffee getrunken, uns unterhalten, und mir war es auch wichtig, dass ich etwas über die deutsche Geschichte von einer Frau höre, die sie erlebt hat.
Was sagen Sie als Partnerin und Multiplikatorin dazu ?
Ja, ich war im Pfarrgemeinderat und da hat dann unser Pfarrer uns aufmerksam gemacht, dass hier ein Jugendladen ist. Und ich wohne ja nahe daran. 15 Nationalitäten wären hier und das machte mich neugierig. Sie haben uns das Haus gezeigt und vor allen Dingen die schönen gemalten Bilder hier. Wir waren überrascht. Aber das, was Sie erlebt haben – die Vorurteile, die waren doch sehr, sehr stark. Ich habe mich immer darum bemüht, Kontakte mit Zuwanderern in der Gemeinde herzustellen. Eine türkische Frau hat in unserer Kochgruppe zubereitet. Da hat sie uns türkischen Mokka gebrüht und hat die gefüllten Auberginen gemacht. Wir haben dann die Rezepte bekommen und sind noch heute ganz begeistert und kochen sie auch heute noch, auch die anderen. Ich habe mich auch bemüht, türkische Ehepaare zum Kochen einzuladen. Die Männer sind ge¬kommen. Und wir haben ein Cafe eröffnet. Also, ich hab gestaunt, wie viele alte Leute einsam sitzen, auch in der Wandergruppe. Viele haben noch Verwandte, aber wenn Sie einen brauchen, sind doch alle beschäftigt. Und wenn sich dann so ein junger Mensch meldet – ich sag: „Das ist die Zukunft. Wir werden dankbar sein, wenn noch jemand nach uns guckt!“ Das merk ich ja an mir, was das für eine Freude für beide Partner ist.
Was raten Sie dem Jugendladen oder anderen Zentren ?
Was ich besonders empfand und auch viele andere: Dass Sie darauf Wert legen, dass die Migrantenkinder nicht nur die deutsche Sprache lernen, sondern, dass sie die Menschen auch kennen lernen. Und das war ja der großartigste Weg, zu sagen, dann kommen sie in die Häuser. Und ich denke, dass wir beide viel voneinander haben werden. Und unser Begegnungszentrum soll offen sein für alle. Und da fragt man nicht nach Konfession und Herkunft.