Neue Sammlung Ankara
Ich will die schönste, die beste Kuchenmeisterin auf der ganzen Welt werden. Das habe ich hier gezeichnet: Ein glückliches Mädchen. Sie ist glücklich wegen ihrer Arbeit. In der Hand hält sie einen Kuchen, einen Traumkuchen. Das ist das erste Mal, dass so ein Kuchen gemacht wurde. Man soll ganz besondere Sachen produzieren können. Mein Onkel ist Koch in einem berühmten Hotel. Er gibt mir immer Informationen über das Kuchenmachen. Montag und Dienstag bin ich in der Schule. Danach gehe ich in einen Kuchensalon arbeiten. Die nächsten drei Tage machen wir Praktikum. Das findet in einer anderen Bäckerei statt. Dort werden nicht Befehle erteilt, dort macht man Witze, die bringen uns immer wieder neue Sachen bei. Im Praktikum bekommen wir ein Drittel vom Mindestlohn, d.h. so ungefähr 200 Lira (~100€). Und am Wochenende bekomme ich extra Geld. Ich mache jetzt nie mehr Kuchen für mich. Ich habe so viel gegessen. Es ist mir überdrüssig. Aber alle, die mich kennen, wollen, dass ich Kuchen für sie mache. Ich wohne in Keciören. Dort sind viele Leute. Die Menschen behandeln sich gegenseitig sehr gut. Und dann kommt noch meine kleine Nichte. Und ich kann nicht „nein“ sagen. Da nehme ich meine Arbeit wieder ganz ernst. Und ich will immer bessere Kuchen machen, jedes Mal.
Selin Y., Berufsgymnasium Ankara, Klasse12, 17 Jahre
Das Nippes Museum führte im Herbst 2012 mit Unterstützung des BMFSFJ eine Erhebung, Malaktionen und Befragungen von Schülern in sechs Schulen und Gruppendiskussionen mit angehenden Erzieherinnen und Lehrerinnen an der Gazi-Universität in Ankara durch. Im Rahmen eines Europaprojekts finden seit 2014 Parallelaktionen mit Kölner Schulklassen statt, die einen aktuellen Vergleich von Schule und Erziehung in der Türkei und in Deutschland ermöglichen. Dadurch soll die vorhandene Sammlung zur Schulgeschichte und zum Schülerleben in der Türkei erweitert und aktualisiert werden.
Katalog „Potentiale einer demokratischen Schule in der Türkei und in Deutschland“
/Publik
/Projekte/Europaprojekte
Das Bild der Schule in der Türkei und in Deutschland
Türkiye ve Almanya’daki Okul ve Egitime Bakis
Einführung in die Ausstellung
Die Sammlung „Das Bild der Schule und der Erziehung in der Türkei und in Deutschland“ umfasst bisher drei Teile:
Den ersten Teil bildet eine Auswahl der Sammlung „Schule im Bild“ mit Arbeiten von in Köln lebenden Schülern. Der zweite Teil umfaßt historische Fotos aus den türkischen Dorfinstituten der 40er und 50er Jahre, die vom Schulmuseum Ankara zur Verfügung gestellt wurden. Im dritten Teil werden Selbstdarstellungen türkischer Schüler gezeigt, die in Ankara im Herbst 1996 zur Schule gingen und bei einer Exkursion des Nippes Museum an den Malaktionen in einer Dorfschule, einer Mittelschule, zwei Berufsgymnasien, einem regulären Gymnasium und einem theologischen Gymnasium teilnahmen. Projekt und Ausstellung wurden damals als Maßnahme gegen Fremdenfeindlichkeit vom MAGS / NRW gefördert. Die Bezirksvertretung des Stadtbezirks 5 (Köln – Nippes) bewilligte eine Unterstützung für die Eröffnungsveranstaltung. Diese Sammlung ist seitdem im Nippes Museum zu sehen. Sie hat geholfen, das Türkeibild verschiedener Besuchergruppen zu besprechen und auch Gemeinsamkeiten in der Arbeitsorientierung und Bildungsvorstellung mit ihren Stärken und Fallstricken zu erkennen. Die neue Sammlung Ankara knüpft an dieser historischen Sicht und dem internationalen Vergleich von Bildungs- und Arbeitsorientierungen an (Publik).
Einige Hintergrundinformationen zum türkischen Schulsystem erscheinen nötig, um die Exponate verstehen zu können. Wenn in der Sammlung aus Ankara 1996 eine Grundschule, eine Mittelschule und vier Gymnasialklassen vertreten sind, war das keineswegs repräsentativ für das türkische Bildungswesen. Damals war der Besuch einer Mittelschule (Klassen 6-8) im Anschluß an die obligatorische fünfjährige Grundschule, obwohl seit 1981 Gesetz, nicht selbstverständlich und wurde nur von ca. 2/3 aller Grundschüler erreicht.
In der Zwischenzeit wurde die Schulpflicht auf 12 Jahre erweitert. Der Vorschulbereich und die Berufsschulen wurden stark ausgebaut. Die Chance zu studieren haben heute doppelt so viele Schüler, etwa 30 statt 15 % . Das Schulsystem ist stufenförmig strukturiert, d.h. es kennt keine Dreigliedrigkeit. Türkische Lehrkräfte rühmen sich einer seit langem gebräuchlichen Inklusion von behinderten Schülern in Regelklassen. Die Schulbesuchsquote der Mädchen ist stark gestiegen.
1985 ging die Statistik der Bildungsabschlüsse der gesamten Bevölkerung der Türkei über 6 Jahren noch von 32% Analphabeten aus. 20% hatten keinen, 40% nur den Abschluß der Grundschule erreicht, 5% hatten eine Mittelschule, 5% einen Gymnasialabschluß und 1% einen Hochschulabschluß erworben (Zentrum für Türkeistudien, Türkei Sozialkunde, Opladen 1994² , S.59).
Derzeit ist von einer raschen Dynamik und Ausweitung des Bildungswesens bis hin zur vorschulischen Erziehung auszugehen. Dennoch ist die Konkurrenz bei der Prüfung zum Übergang in die 9. Klasse und dann beim Übergang zur Universität groß. Obwohl die in Deutschland bestehende Dreigliedrigkeit des Schulsystems in dieser Form in der Türkei nicht existiert, ist von einer erheblichen Selektion auszugehen. Private Eliteschulen (die Kolejleri) und Nachmittagsschulen (Dersanes) sind teuer. Bestimmte als Eliteschulen angesehene öffentliche Schulen, wie z.B. die Supergymnasien, aber auch speziellere Berufsgymnasien, wie das hier vertretene Radio / Fernsehgymnasium, führen Auslesetests durch. Das private Nachhilfewesen in den kommerziellen Dersanes blüht angesichts des engen Trichters, den Schüler, insbesondere auf dem Weg zu den knappen Plätzen in begehrten Studiengängen an öffentlichen Universitäten, durchlaufen müssen.
Dies bedeutet nicht, daß das Denken der Schüler nur vom offiziellen Plan diktiert ist. Wie die Arbeiten der in Köln lebenden Schüler beinhalten auch sie Themen, die man hierzulande als jugendspezifisch oder typisch jugendlich bezeichnen würde. Die Kölner Arbeiten können auch die Wahrnehmung für die Lebenssituation von Schülern in Deutschland stärken und stellen einige beliebte Klischeebilder, z.B. von „den“ türkischen Jugendlichen oder „den“ türkischen Mädchen, in Frage. V.a. aber verdeutlichen sie die internationale Verstrickung und teilweise Konvergenz der generativen Themen und Einstellungen von Jugendlichen in Schule und Beruf. Die historischen Fotos zur Geschichte der türkischen Dorfinstitute mögen ebenfalls eine hierzulande weniger bekannte Facette der Türkei in Erinnerung rufen. Wir bedanken uns bei allen 500 Schülern und Schülerinnen und den sonstigen Beteiligten, die bis heute an dem Projekt mitgewirkt haben.